Nordwärts – 15 Stunden stehen im Zug, arabische Klänge, Giraffen im Savannengras und Karfreitag in Notre Dame

Yaoundé, Ngaoundéré, Benué, Douala

Salut und Welcome,

es klingt hart und so fühlt es sich an. Nichts für Weicheier. Es ist Nacht. Ich bin im Transcamerounais, dem einzigen Zug Kameruns. Ich komme aus der Hauptstadt Yaoundé und bin auf dem Weg in den Norden, nach Ngaoundéré. Auf meinem Ticket ist debout (stehend) gestempelt. Als ich um 18 Uhr abends in Yaoundé abfahre, wird mir bewusst, was mich für ein Höllentrip in den kommenden 15 Stunden erwartet. Eingebrockt habe ich es mir aber im Grunde genommen selbst. Aber der Reihe nach…

Am Samstag (23.3), ein Tag nach Ferienbeginn, mache ich mich auf den Weg nach Yaoundé, in die Hauptstadt. Die ursprünglich auf höchstens 6 Stunden taxierte Reise wird zum Kraftakt. 9 Uhr am Dschanger Busbahnhof, 12 Abfahrt, 14 Uhr Abstecher nach Bafoussam, wo der Bus für fast eine Stunde parkt. In der Dunkelheit erreiche ich ein lautes, heißes Yaoundé.
Eine Stadt, deren Größe das breite Band der tausend Lichter verrät. In der Hauptstadt hält der Bus an mehreren Stationen an. Meine ist um halb 10 die letzte. Ich nehme ein Taxi und fahre zur katholischen Mission im Viertel Mvolye. Dort hat mir Dina, eine ehemalige Rainbow-Freiwillige, für die Nacht Unterschlupf in dem christlichen Haus angeboten. Sie lebt und arbeitet dort im Rahmen ihres Studiums für die nächsten 5 Monate. Mit ihr tausche ich mich über unsere Erfahrungen an der Rainbow School aus. Um Mitternacht falle ich hundemüde ins Bett.

Am nächsten Vormittag (24.3) kaufe ich mir am Bahnhof des Transcamerounais ein Ticket für die Weiterreise am Abend. Bis ich jenes Ticket in Händen halte, ist es ein langer Akt der Hindernisse. Von einem Schalter schickt man mich zum nächsten und wieder zurück. Es gebe keine Tickets mehr für einen Sitzplatz in der 2.Klasse. 10000 Franc (15 Euro) kostet diese Kategorie. Es bleibt bei der Deklaration “Ausverkauft” und so bezahle ich für denselben Tarif ein Ticket der Klasse Stehplatz. Ich könne mich ja einfach in den Speisewagen setzen oder ich tauche dort auf, wo Reservierungen nicht wahrgenommen werden. Irgendeine Lösung werde es schon geben.
Am Nachmittag bin ich mit Dina und einem Freund im städtischen Zoo. Enge Käfige bieten den Tieren wenig Platz. Löwen, Affen und Co sind stark abgemagert, sodass außer Haut nicht mehr viel von den afrikanischen Aushängeschildern übrig geblieben ist. Umweltaktivisten würden Alarm schlagen – aber haben wir in Deutschland nicht ein vergleichbares Problem mit Zoohaltung?
In einer Bar lässt sich mein Sitznachbar eine sonderbare Dienstleistung gefallen: Er lässt sich von einem jungen Erwachsenen die Nägel polieren und schneiden. Um kurz vor halb sechs begebe ich mich in ein Taxi. um zum Bahnhof zu gelangen. Hoffentlich komme ich dort nicht zu spät an. Normalerweise fahre der Zug pünktlich um 18 Uhr ab; es gebe aber auch Tage, an denen er eine Stunde früher (eigentlich ist so etwas sonst ungewöhnlich in Kamerun) Yaoundé verlässt.

Ich komme um 20 vor 6 an. Glück gehabt. Der Zug steht noch am Bahnsteig. Ich habe ein Modell der Generation 54’ WM-Zug erwartet. Ein bisschen moderner ist er schon, 15 Jahre vielleicht. In den hinteren Wagons, Klasse 1, entdecke ich vereinzelt weiße Touristen. Aber mein Weg soll mich an den Anfang der Eisenbahn führen. Auf dem Bahnsteig haben Muslime ihre kleinen Teppiche ausgebreitet. Sie knien nach Mekka gerichtet. Ich betrete mein Abteil und bleibe im Eingangsbereich stehen. Schnell wird mir klar, dass mein Plan, einen Sitzplatz zu suchen, heikel bis unmachbar wird. Erst einmal muss ich wohl stehen. Ich komme mit dieser Situation, so wird mir schnell bewusst, nicht klar. Ich fühle mich
wie ein Bettler, bin den Tränen nahe. Ein Stehnachbar flüstert mir einen Satz zu, in welchem ein Stückchen Wahrheit steckt: Indem ich stehe, spüre ich das Leid und Elend, das ein ganzes Volk erfährt.
Ich empfinde es als Ungerechtheit, dass andere Fahrgäste da sitzen, wo ich auch hätte sitzen können. Sie haben für erheblich bessere Bedingungen dieselbe Summe gezahlt. Aber ich nehme dies so hin – was bleibt mir anderes übrig. Und was ist mit dem Trick Speisewagen? Ich arbeite mich durch den Korridor bis zum Ende der 2.Klasse vor. Dann ist Schluss. Das dort kontrollierende Militär verweigert mir mit meinem Ticket den Zugang zur ersten Klasse. Es gibt da noch eine Karte, die ich spielen könnte. Sie heißt Geld. Diesmal verweigere ich. Ich werde keine 7000 Franc Aufpreis plus 2000 Franc
Schmiergeld an den Kontrolleur bezahlen (insgesamt 13 Euro). Korruption – Kameruns Sorgenkind: Ohne mich! Also kehre ich zurück. Passierende Kontrolleure in meinem “Abteil”, die Wagontransitzone der Pechvögel, sichten mich mit Erstaunen: Der Weiße steht? Ja und da stehe ich zu.Nach zwei Stunden schmerzt die Muskulatur zu sehr. Ich nehme den schweren Wanderrucksack von meinen Schultern und stelle ihn zwischen meine Beine. Es ist eng, ich stehe mit anderen Leuten im Gang und muss jedes Mal, wenn jemand passiert, zur Seite treten. Der Schweiß läuft. Es ist halb 10, ich werde müde. An Schlaf ist aber nicht zu denken. Hinzu kommt, dass ich in diesem Gedrängel penibel auf mein Gepäck achten muss. Meine Leidgenossen sind freundlich, optimistisch und diskutieren mit Leidenschaft über Gott und die Welt. Mein “Stehnachbar” erweist sich als echter Deutschland-Kenner. Mit ihm philosophiere ich über Merkel, EU und deutsches Bier. Die Frauen in meinem Umkreis stehen nicht, sie sitzen auf dem harten Boden. Eine befindet sich im Halbschlaf, eine andere stillt ihr Baby. Immer wieder ruckelt es. Ohne echten Halt ist das mit dem Halt so eine Sache. Mein Allemagne-Spezialist spendiert mir einen Tampico (Ananas-Saft in Plastiktüte). Ich bin froh in dieser anstrengenden Situation in ihm einen Freund zu haben. Jede Stunde hält der Zug auf seiner schier endlosen Reise am Bahnsteig an. Dann steigen eher Leute zu als das es leerer wird. Ähnlich wie bei den Busreisen versuchen Marktfrauen draußen an den Stationen ihre Ware zu verkaufen. Verstaut werden Bananenstauden und Co in unserem “Abteil”. Es wird immer enger. In den Stunden nach Mitternacht kann ich mich zum Glück immer mal wieder auf den Boden hocken und so jeweils für kurze Zeit ein Auge zu drücken. Froh bin aber allemal, als der Zug um 9 Uhr in Ngaoundéré einfährt. Diese Zugfahrt haben mich physisch wie psychisch an den Rand der Belastbarkeit gebracht. Ich bin an dieser Erfahrung gereift. Missen möchte ich sie im Nachhinein nicht, so ein Erlebnis noch mal durchmachen aber lieber auch nicht. Die 15 Stunden im März zwischen Verzweiflung und unvorstellbarer Erschöpfung werden mich fortan prägen. Sie haben Eindruck hinterlassen.

Eindruck hinterlassen auch die ersten Impressionen von Ngaoundéré. (25.03) Es ist trockener, wärmer in der Hauptstadt der Region Adamaoua. Die Hektik ist verflogen, das Leben scheint hier einen ruhigeren Gang zu gehen. Außerhalb der Stadt sind die Anfänge der trockenen Vegetationsgebiete des Nordens spürbar. Es wächst weniger. In der Stadt selbst sorgen Alleen für ein freundliches, urbanes Klima. Der muslimische Einfluss ist enorm. Minarette prägen das Stadtbild. Auch die Bevölkerung sieht hier anders aus. Kopftücher an allen Ecken geben dem Ganzen einen arabischen Touch. In Ngaoundéré treffe ich auf Kim und eine andere IB-Freiwillige, die beide mit ihren Freunden auf Reise sind. Nachdem wir den halben Tag dafür aufwenden, den Besuch des Benué-Nationalparks zu planen, besichtigen wir am Nachmittag den Sultanspalast.

Ngaoundéré_Da wo der Lamido wohnt: Der Sultan

Ein spannender Einblick in einer mir fremde, muslimische Welt. Der Sultan hat noch heute mehr Einfluss in der Gesellschaft als der Gouverneur, wenn auch weniger politische Macht als jener. Draußen singt der Muezzin. Vor den Toren des Palasts
steht die zentrale Moschee der Stadt.

Am Dienstag (26.3) brechen wir in Herrgottsfrühe auf. Nach zwei Stunden Fahrt durch weite Ebenen im Flachland betreten wir das Tor zur afrikanischen Tierwelt, das mit dem Namen Benué-Nationalpark gesegnet wurde. Dieses riesige Areal ist in Zentralnordkamerun einer von drei Nationalparks. Ich verspreche mir von Benué viele Tiere. Nach ein paar Minuten geht mir schon das Herz auf: Paviane überqueren wenige Meter vor uns die Piste. Kurz darauf sehen wir grazile Antilopen im Gras vorbeihüpfen. Ihre Bewegungen sind geschmeidig, sanft, einer Tänzerin gleich. Zwei majestätische Giraffen stehen im Busch. Sie erblicken uns, verweilen einen Augenblick und huschen dann davon. Ihre Gangart ist gewöhnungsbedürftig, aber schnell. In einem Zoo dürfte man kaum eine
rennende Giraffe sehen. In ihrer natürlichen, weitläufigen Umgebung hier ist das noch möglich. Dass wir eine Giraffe erblicken, ist echtes Glück und eine Rarität – Paviane und Antilopen hingegen tauchen immer wieder auf.

Der Fluss Benué gibt dem Park seinen Namen. An den Stellen, wo dieser noch üppig mit Wasser gefüllt ist, badet eine Horde von Nilpferden. Ein Krokodil versteckt sich unter der Oberfläche, nur dessen Augen liegen auf dem Wasser. An anderen Flussabschnitten haben sich breite Sandbänke gebildet. Das Ausmaß der Trockenzeit, die sich im Norden dem Ende zuneigt, wird hier sichtbar. In dem ausgetrockneten Delta tummeln sich wiederum etliche Affen und Antilopen. Sie sind auf der Suche nach Wasser zu dem auf ein Gerinnsel geschrumpften Fluss gekommen. Manche Antilopen laufen um die Wette. Ähnlich scheu, aber noch seltener sind Warzenschweine. Haben sie einen entdeckt, ergreifen sie die Flucht. Durch den ganzen Park ziehen sich drei Merkmale, die ihm einen individuellen Charakter verleihen: Eine tierische Geräuschkulisse, ein Geruch der Wildnis, wie er ähnlich aber doch anders im Zoo auftaucht, und das Bild der Savanne mit Gräsern, Büschen und kleinen Bäumen.

Kurz vor der Mittagshitze ereilt uns eine Reifenpanne. Die Glut, wenn die Sonne am Zenit steht, zwingt uns aber ohnehin zu einer Rast. Nach der Siesta gehen wir am frühen Nachmittag noch mal auf Safari. Diesmal machen wir keine neuen Entdeckungen. Die Tiere ziehen nun schattige Plätze dem Aufenthalt in der knallen Sonne vor. Bei 40 Grad in der Spitze beschränken auch wir unsere Bewegungen und Gespräche auf das Nötigste. Die Hitze macht einem zu schaffen. Weder Fahrer noch Guide geben – wie den ganzen Tag – einen Mucks von sich. Direkt an den Pisten sind ganze Streifen gerodet. Es ist offensichtlich, dass der Boden dort durch menschliches Eingreifen abgebrannt ist. Wahrscheinlich um Freiflächen zu schaffen, damit Touristen einen besseren Blick auf die Tiere haben. Gut finde ich das nicht.

Um halb 5 verlassen wir den Park. Die Rückfahrt nach Ngaoundéré ist eine Reise durch eine andere Welt. Das Leben in den winzigen Dörfern ist einfach und den Bedingungen der Steppe angepasst. Die Hütten bestehen hier im Norden aus Lehm und Strohdächern. Sie sind klein und rundlich. Auch die Menschen sehen anders aus. Sie sind zum Großteil muslimisch und gehören einer Ethnie des Sahels an. Die hier beheimateten Fulbe-Stämme haben einen arabisch geprägten Lebensstil. Ihnen eigen ist eine dunklere Hautfarbe. Ihr Gesicht ist von künstlerischen Narben gezeichnet. Ein verbreiteter Ritus. Auch die Mentalität der Bewohner dieser trockenen Landstriche unterscheidet sich von derjenigen des Südens Kameruns.

Ein Dorf im Norden

Die Menschen hier wirken auf mich introvertierter und ruhiger. Oft begegnen sie einen mit einer überaus freundlichen Höflichkeit. Nach Ngaoundéré nehme ich einen Schatz an neuen Eindrücken mit. Das Abendessen in der Innenstadt ist mit Hähnchen und Gemüse im Brot wieder ganz vertraut.

Nachts erschweren in Ngaoundéré nicht nur die sehr milden Temperaturen sondern auch viel zu viele Mücke meinen Schlaf. Das Surren der kleinen Plage kann ich nicht ertragen. Ich wache mitten in der Nacht auf und geh in meinem Hotelzimmer für eine Stunde erstmal auf Mücken-Jagd. Nach dem Frühstück erkunde ich auf eigene Faust die Stadt. (27.3) Häufig kreuze ich Muslime mit langen Gewändern und Muslime mit Kopftüchern. Gelegentlich hockt an einer Straßenecke, Hauswand oder da, wo der Verkehrslärm ein bisschen gedämpft ist, ein betender Moslem auf seinem kleinen Teppich.


Ich stöbere ein bisschen auf dem Petit Marché, der im Gegensatz zum Grand Marché größer ist – sehr eigenartig! Ich erreiche wieder die zentrale Moschee. Dort treffe ich auf den Guide, der uns zwei Tage zuvor den Palast gezeigt hatte. Nun führt er mich spontan einmal um die Moschee herum. 5 Mal pro Tag finden hier offizielle Messen statt: Um 5, 13,15,17 und 19 Uhr. In dem Gotteshaus gelten strenge Regeln. Vor dem Eingang müssen die Schuhe ausgezogen werden. Ich darf nicht eintreten. Bis zum Mittag klettern die Temperaturen auf über 30 Grad im Schatten. Am frühen Nachmittag zieht sich die Wolkendecke zu und es fängt an zu tröpfeln. Der warme Regen hat einen ganz eigenen Duft. Den Berg Ngaoundéré besteige ich am Abend. Ein putziger Hügel mit Felsbrocken. Um dorthin zu gelangen, bahne ich mir einen Weg durch ein dörfliches, ärmliches
Stadtgebiet. Überall spielen Kinder draußen herum. Es ist erstaunlich, was für einen hohen Anteil an der Bevölkerung ganz junge Menschen hier ausmachen. Auf der Spitze des Hügels angekommen, habe ich einen tollen Ausblick auf Ngaoundéré. Im Hintergrund sind die Gebirgszüge des Adamaoua-Hochgebirges zu erkennen.

Blick auf Ngaoundéré by night

Der Weg zurück ins Zentrum gestaltet sich wegen der einfallenden Dunkelheit schwierig. Die verwinkelten Gassen des Viertels sind wie ein kleines Labyrinth. Seine Bewohner helfen mir auf Nachfrage wieder hinaus. Noch am Abend liegt mir der sonderbare Geruch des Dorfes in der Nase: Duftkerze und Rindfleisch.

Als ich im Café am Frühstückstisch sitze (28.3) – ein Joghurt und Mangosaft (mehr nicht, bei der Hitze kommt kaum Hunger auf – erblickt mich ein Guide, den ich Tags zuvor bei der zentralen Moschee kennengelernt habe. Er arrangiert innerhalb kurzer Zeit ein Moto und führt mich zum See de Tizon, 9 Kilometer südlich von Ngaoundéré.

Bei Ngaoundéré_Lac de Tizon

Von dort aus hat man einen tollen Blick auf die weiten Ebenen des Adamaoua-Hochplateaus. Die Sonne steht hoch. Überall breitet sich ein gelber Teppich mit grünen Farbtupfern aus. Danach nimmt mein Guide noch einen gewollten Umweg, um mir Ngaoundéré genauer zu zeigen. Sightseeing auf dem Moto. Und immer wieder Moscheen. Als ich mich auf den Weg Richtung Auberge begebe, beginnt ein Unwetter zu toben. Der Staub wird vom Sturm aufgewedelt. Dann brechen die schwarzen Wolken. In diesem Augenblick stehe ich vor der einzigen großen Kirche dieser Stadt. Zufall, Schicksal, Botschaft? Jedenfall finde ich in dem katholischen Gotteshaut Schutz vor dem Regen.

Zufluchtsort in stürmischen Zeiten

In der schönen Kirche wird mir bewusst, harmonisch Christen mit Muslimen leben können. So ist es in Ngaoundéré ohne Frage der Fall. Wenn das nur an anderen Orten der Erde ähnlich sein könnte…

Abends wartet der Transcamerounais wieder auf mich. Zurück nach Yaoundé. Die Nacht ist ein Traum, wenn ich diese mit jener von Sonntag vergleiche. Die erste ist eine Klasse für sich. Beinfreiheit und man hat seine Ruhe. Als die Sonne erwacht (29.3), tue ich das auch. Viel geschlafen habe ich nicht. Ich bin zwei Stunden vor Yaoundé. Die Eisenbahntrasse schlägt eine Schneise durch den tiefen Regenwald. Es ist wie auf den besten Kolonialfotos in Sepia. Karfreitag. Zeitsprung: In der Hauptstadt sehe ich zwei Prozessionen mit großem Kreuz an vorderster Front und Menschenmassen dahinter.
Ich nehme mir ein Taxi in die Innenstadt. Am Place de l’Independance betrete ich die größte Kathedrale der Stadt: Notre Dame. Untermalt wird die Karfreitagsmesse immer wieder vom hupenden Verkehr des exorbitanten Kreisverkehrs, der wegen seiner Größe doch stark an Charles de Gaulle-Etoile ohne Triumpfbogen erinnert – um den Vergleich mit Paris noch mal zu suchen. Die Kirche fasziniert alleine ihrer Höhe wegen. Weiße Säulen ragen 25 m in die Höhe. Ein breites Hauptschiff. Das Dach: Eine Holzkonstruktion. Die Liturgien sind offenbar in Akte unterteilt. Nach einem Auftakt mit Trommelwirbel und langen Ansprachen – meist auf “Stammessprache” – kommt der Hauptgang, der überwiegend andächtig gehalten ist. Der Priester, begleitet von Gottesdienern in jedem Alter, verlässt
insgesamt vier Mal die Kirche und tritt daraufhin unter den Augen der 2000 Gläubigen wieder ein. Der Schluss ist klassisch: Kollekte für Rom, Kommunion und – wie an Karfreitag üblich – ein Wechselspiel zwischen kniender und stehender Andacht sowie das Küssen des Kreuzes.

Ich muss mich nur wenige Meter vom Haupteingang entfernen und schon bin ich wieder zurück im ganz verrückten Alltag der City. Auf den Bürgersteigen haben die Straßenhändler ihre T-Shirts, Trikots, Schmuck und toten Ratten ausgebreitet. Sie sind aufdringlich, reden auf mich ein, verfolgen mich manchmal auf meinem Weg durch den Trubel für einige Schritte, um mich vom Kauf irgendwelcher Waren zu überzeugen. Eine Bettlerin möchte von mir ein wenig Geld für eine Mahlzeit haben. Als ich nur geistesabwesend abwinke, packt sie meinen Arm, um mich zu überreden.
So unsolidarisch und kalt es sich anhört, aber man muss lernen zu ignorieren. In einer Abzweigstraße des Kreisverkehrs befindet sich ein riesiger Supermarkt, der mich für einen Moment nach Europa versetzt. Hier gibt es alles – sogar Schoko-Osterhasen! Die Preise sind auch Europa; für die große Bevölkerungsmehrheit nicht erschwinglich.

Am Abend gehe ich zu einem Konzert im Institut francais. Viele Weiße sind gekommen, um sich von zentralafrikanischen Klängen verzaubern zu lassen. Einen Song widmet die Sängerin ihrer Heimat, der zentralafrikanischen Republik. In dem Staat geht es drunter und drüber: Der Präsident ist aus Angst vor den Rebellen geflohen – nach Kamerun.
Nach einem Tag im Zeichen der Siesta fahre ich an Ostersonntag (31.3) nach Douala. Am Vormittag bin ich zuvor aber noch in der Ostermesse. Hier wird das Christentum wahrlich gelebt: Gestern Nachmittag habe ich in einem Stadtpark gechillt, als plötzlich zwei Gesandte einer Sekten-Versammlung mir Gott näher bringen wollten. In der Nacht wurde vor meiner Unterkunft ein Osterfeuer entzündet, um 5.30 Uhr holen mich Chorgesänge aus dem Schlaf und jetzt – vier Stunden später – sitze ich in einer riesigen Basilika. Mehrstimmiger Chor, Orgelklänge, Massentaufe und Hochzeit – ach, nebenbei wird noch die Auferstehung Christi gefeiert…

Und dann bin ich in dem gemütlichen Bus bei angenehmer Hitze in wohltuender Enge. Im Ernst – dem obligatorischen Drei-Stunden-Warten am Busbahnhof folgt die vierstündige Fahrt von Stadt-1-Groß-Heiß-Laut nach Stadt-2-Auch-Groß-Auch-Schwül-Auch-Laut..Sehr-Laut. Anstrengend. Der Himmel über Douala ist in rot getränkt. Alles darunter in Lärm und Verkehr. Ein Huporchester. Ein Geschlängel-Gedrängel. Hat die Straße 3,4 oder 10 halbe Spuren? Man weiß es nicht. Ich sag’s noch mal: Douala ist nicht meine Stadt und das wird sie auch nicht mehr.

Mit dem Taxi vom Busbahnhof zum City-Viertel Akwa. Verkehr, Lärm, Stress – jetzt im Angesicht der Dunkelheit. Die Fahrt am Limit, zwischen Taxis durch, mit Tempo, über rote Ampeln. Egoshooter nur ohne Ballern, dafür Cruisen. Schauplatzwechsel am Ziel: Mit drei Freiwilligen und deren Familienangehörigen, die in Kamerun zu Besuch sind, essen wir in einem schicken Hotel zu Abend. Bei Franzi und Hanna, zwei jener Freiwilligen, schlafe ich. Etwas überraschend kommen dann noch zwei deutsche Studenten, Gäste eines anderen Freiwilligen aus Buea, um bei uns zu pennen. Eigentlich hatten sie sich schon am Flughafen mit Rückflugticket in Händen gesehen. Kleines Manko im Haus: Momentan gibt’s weder fließendes Wasser noch Strom. Als ich schon verzweifelt darüber, dass ich wegen der stehenden Hitze nicht einschlafen kann, auf meiner Matratze liege, springt der Ventilator an. Der Strom ist da, der Schlaf nun auch.
Montagmorgen (1.4) fahre ich kurz alleine zum Marché du Fleur am anderen Ende der Stadt. Dort suche, feilsche und kaufe ich bei Händlern des Kunsthandwerks. Es ist ein Leichtes, in des Verkäufers Stube hineingelockt zu werden. Schwierig ist es, sich aus den Armen des alten Hasen zu befreien. Ist deinem Gegenüber die Verführungskunst inne, so beherrsche du den Moment der Flucht. Zurück in der Wohnung in Douala. Wasser holen. Ein Leitungsrohrbruch spült das Wasser direkt vor dem Haus auf den Weg. Kinder füllen ihre Kanister wie wir auf. Das dort austretende Wasser ist übrigens nicht der Grund für das fehlende Wasser in der Wohnung. Am späten Abend werden wir glücklich feststellen dürfen, dass auch dieses Problem gelöst ist.

Eine frische Abkühlung ist in Douala genau das, wonach man sich quasi Zeit seines ganzen Aufenthalts sehnt. Im städtischen Schwimmbad wird aus Sehnsucht Erfüllung. Hanna, ihr Vater und ich schwimmen dort ein paar Bahnen.

Douala_Erfrischung im Stadtbad

Danach sind wir mit der abends zuvor getroffenen Freiwilligen Lea und deren Familie zu einem Abendessen in traumhafter Kulisse verabredet. Direkt am Meer, im Hafen von Douala, genießen wir einen wunderschönen Sonnenuntergang. Weit hinten am Horizont sind Schiffe zu sehen, weiter rechts ragt die Silhouette des Mount Cameroon empor.

Als Sonne verschwunden und Flut gekommen ist, gesellt sich am Nachbartisch eine große Gruppe von Vietnamesen dazu. Sie lassen den Tag berauschend ausklingen. Trinkspiele erheitern die Männer aus Fernost. Das Ex-en lernen wir aber noch mal…
Ruhe vor dem Sturm. Mitten in der Nacht – ich liege Traum versunken auf meiner Matratze – bricht draußen das größte Unwetter los, das ich je erlebt habe. Eine Sturmflut in der Bretagne ist dagegen ein stilles Aufmucken. Es regnet – ich spare mir die Redewendungen der Kübel und Eimer, weil sie die dämlichsten Untertreibungen wären. Die Menge, die an Niederschlaf herunterkommt, würde ich mit derjenigen Düsseldorfs im halben Monat November vergleichen. Dazu bläst ein heftiger, fast orkanartiger Sturm, der die Fensterläden aufreißt. Mit Mühe kann ich diese wieder schließen, denn es spritzt Wasser in die Wohnung – wie als ob man in einem U-Boot auf Tauchstation die Luke öffnen würde. Das Wasser kommt aus allen Ecken. Vom Balkon aus dringt es unter der Tür durch, sodass sich ein Wasserfilm auf dem Fußboden bildet. Der schwarze Himmel erleuchtet im Sekundentakt. Blitzlichtgewitter. Tausende Blitze erhellen die Nacht. Nach fast einer Stunde ist die apokalypsartige Sinnflut vorbei.

Am Morgen danach (2.April) sind die Spuren der Nacht noch zu sehen. Auf dem Boden hat sich ein feuchter Teppich gebildet, der auch meine Matratze nicht ausgenommen hat.
Im Viertel Bonanjo gehe ich am Vormittag in die Galerie DoualArt. Dann kündigt sich nach 11 Tagen das Ende meiner Reise an. Ich nehme ein Taxi nach Bonaberi, einem Vorort von Douala. Von dort aus trete ich eine sichere Rückfahrt im “Buschbus” gen Dschang an. Sicher – ohne Zwischenfälle, dafür muss man dankbar sein. Auf meiner Reise haben mich auch immer wieder Verkehrsunglücke begleitet. Zum Glück nur in der Rolle des Augenzeugen. Ich habe LKWs am Straßenrand gesehen, die wie ein Akkordeon in sich zusammengefaltet am Abgrund lagen; ein Fahrzeug vor uns hat in vollem
Tempo einen Reifen verloren und auf der Hafenbrücke in Douala deutet eine durchbrochene Leitplanke auf eine Tragödie hin, die sich zwei Tage zuvor ereignet hatte. Ein Taxi ist rappelvoll mit Passagieren ins Wasser gerast. Alle tot.

Ich habe wieder eine neue Ecke Kameruns kennengelernt, neue Menschen getroffen – darunter inspirierende Kameruner und liebenswürdige Freiwillige. Hinter mir liegen 11 aufregende Tage, von denen ich hochgerechnet mehr als 50 Stunden oder 2 Tage oder 20 % der Reise im Taxi, Zug oder Bus saß. Aber was wäre das Reisen ohne das Reisen selbst. Nun liegen noch genau 3 Monate vor mir. Vorhang auf für das letzte Kapitel…

A bientôt mes potes (Y)